
FINE - DEKANTIERT! EINE KOLUMNE ÜBER WEIN UND POLITIK
WAS FRIEDRICH MERZ UND DIE CARMENÈRE-REBE GEMEINSAM HABEN
Von MICHAEL WEDELL & RAINER KNAUBER
Wein und Politik … dafür eine Kolumne? Hat das überhaupt etwas miteinander zu tun? Wir finden: eine ganze Menge! Dass in der Politik dem Publikum nicht immer reiner Wein eingeschenkt wird, ist keine neue Erkenntnis. Aber wie beim Dekantieren eines Weins die edle Flüssigkeit und das Sediment getrennt werden, kann man auch in der Welt der Politik oft durch genaues Hinschauen – vor allem hinter die rhetorische Kulisse - tiefere Absichten und Ideen erkennen, die Politiker verfolgen. Manchmal gibt es auch in der Politik alten Wein in neuen Schläuchen und hier wie dort gibt es neben großartigen Produkten eben auch so manchen Etikettenschwindel. Diesem Zusammenhang wollen wir in dieser Kolumne auf den Grund gehen. Wenn wir dabei nicht immer trocken sachlich und total ausgewogen vorgehen, mögen unsere Leserinnen und Leser das bitte verzeihen. Denn bei Wein und Politik gilt gleichermaßen, dass auch Leidenschaft dazugehört. Und die ist eben nicht immer staubtrocken.
In unserer ersten Kolumne wenden wir uns dem politischen Ereignis dieses Jahres zu, der Bundestagswahl. Dass wir das Ergebnis dieser Wahl zum Drucktermin von FINE noch nicht kannten, ist etwas unpraktisch, für die Analogie zum Wein aber gar nicht so entscheidend. Denn bei der Weinlese weiß auch der Winzer noch nicht genau, wie gut sein Wein am Ende werden wird.
Das Ergebnis einer Bundestagswahl lässt sich in der Welt des Weins am ehesten mit einer Cuvée vergleichen, die alle vier Jahre neu zusammengestellt wird. Die Kellermeister sind dann die Wählerinnen und Wähler, um im Bild zu bleiben. Werden dem neuen Parlament vier oder sogar sechs Fraktionen angehören? Wolfgang Kubicki zeigte sich kürzlich in einem NZZ-Interview überzeugt, dass seine FDP auch weiter parlamentarisch mitspielen wird. Auf die Frage, wie hoch er auf den Einzug der Liberalen in den Bundestag wetten würde, meinte er: “Wenn sie dagegenhalten, meinen halben Weinkeller“. Klingt - wie oft bei Kubicki - recht markant. Dass er die andere Hälfte seines Weinkellers aber in jedem Fall behalten will, kann ihm dann für den Fall Trost spenden.
Und wenn das BSW ein Wein wäre, weiß man auch nicht so genau, ob diese Flasche für eine Lagerung von vier oder mehr Jahren im Keller genug Substanz hätte – oder wie ein Beaujolais Primeur nur für ein paar Monate Freude macht und dann verflacht. Und wer mit diesen Weinchen so seine Erfahrung gesammelt hat, wird wissen, dass viele von ihnen zunächst lecker und animierend sein können, um am kommenden Tag einen ziemlich schlimmen Kater zu verursachen. Die Cuvée des Deutschen Bundestages war jahrzehntelang berechenbar wie ein großer Bordeaux: Nur vier oder fünf Rebsorten werden maximal verwendet, meist bilden Cabernet Sauvignon und Merlot die größten Anteile, ähnlich wie dies jahrzehntelang für die Volksparteien im Bundestag galt. Das hat sich inzwischen geändert, auch wenn wir von der Rebsortenvielfalt eines Chateauneuf-du-Pape – ganze 13 Rebsorten dürfen hier miteinander in die Assemblage – noch sehr weit entfernt sind. Richtig ist aber auch, dass nur die wenigsten Winzer alle zulässigen Rebsorten in ihre Produkte einfließen lassen. So ist also nicht unbedingt die Anzahl der Gewächse für das Endprodukt entscheidend, sondern es sind neben vielen Faktoren vor allem das Terroir, das Alter der Rebstöcke, das Wetter im Erntejahr, die Arbeit im Weinberg und der Lesezeitpunkt, die über die Qualität der einzelnen Rebsorten entscheiden – und damit auch über das Mischungsverhältnis.
Ähnlich ist es in der Politik: Haben die Themen der Parteien Konjunktur oder stehen sie quer zum Zeitgeist? Hat man zugkräftige Kandidatinnen und Kandidaten an der Spitze und auch ein gutes Kampagnenmanagement? Ein eindrucksvolles Comeback in der politischen Cuvée dieses Jahres dürfte Friedrich Merz erleben: Seit den frühen 2000er Jahren fast abgeschrieben und aus der Politik ausgeschieden, greift er jetzt nach der Kanzlerschaft. Mit immerhin 69 Jahren würde er auch als Rebstock mit dem ehrenvollen Prädikat „vieille vigne“ durchgehen. Wer hätte vor vier Jahren solch ein Comeback vorhergesagt? Einer sehr speziellen Rebsorte des Bordeaux ging es in den letzten Jahrzehnten übrigens ganz ähnlich. Die Carmenère, eines der sechs Gewächse, die in den roten Bordeaux hinein dürfen, wurde durch die Reblaus im 19. Jahrhundert fast komplett vernichtet. Für die Winzer des Bordelais war diese Rebe immer schon ein schwieriger Kandidat: Späte Reife, große Empfindlichkeit gegen Feuchtigkeit und Kälte sowie geringe Erträge führten dazu, dass sie beim Wiederaufbau der Weinberge nach der Reblaus-Katastrophe kaum noch nachgepflanzt wurde und in Europa weitgehend in Vergessenheit geriet.
Dabei kann sie großartige Weine hervorbringen, was dann in Chile in großem Stil gelang. Hier sind die klimatischen Bedingungen ideal und was dort aus der Carmenère auf Flaschen gezogen wird, kann in der Weinwelt auf sehr hohem Niveau mitspielen. Bereits über 7000 Hektar sind dort mit dem Comeback-Wein der alten Bordeaux-Rebe bestockt. Die Flaschenpreise können sogar dreistellig werden und der Wein ist es wert. Wir verkosteten einen 2021er Kai Carmenère vom Weingut Errazuriz, der nördlich von Santiago de Chile im Aconcagua-Tal gewachsen ist und 22 Monate in französischer Eiche lagern durfte. Einen zarten Veilchenduft und Aromen von Nougat, Zigarrenkiste und roten Beeren bringt dieser wunderschöne Wein ins Glas. Sollte man nicht nur einmal trinken! Die Wiederkehr der Carmenère gelang in etwas bescheidenerem Umfang auch in Venetien. Wir testeten eine Flasche aus der DOC Piave vom Weingut Rechsteiner, Jahrgang 2022, dem Jahr, in dem Friedrich Merz den Bundesvorsitz der CDU übernahm. Die Farbe zeigt sich wie beim Chilenen fast schwarz, in Duft und Geschmack deutlich leichtgewichtiger. Er trinkt sich zunächst sehr angenehm, man wartet aber bei der offenen Flasche auf mehr Intensität, die dann allerdings ausbleibt.
Ob das Comeback des Friedrich Merz ähnlich überzeugend wie bei dem Tropfen aus Chile oder doch wie beim etwas leichtgewichtigen Gewächs aus Venetien ausfällt? Und wie interessant, vielseitig und lagerfähig die Cuvée des 21. Deutschen Bundestages wohl wird? Lassen wir uns überraschen, wenn wir sie ab jetzt gründlich dekantieren und verkosten werden!
Rainer Knauber ist langjähriger Energiemanager und Autor von knauber-kocht.de.
Michael Wedell ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der
Beratungsgesellschaft The Partners.
20,00 €*
Nicht mehr verfügbar
Erschienen am: 13. Dezember 2024
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