FINE 2/2022 - DER TRAUM DES INGENIEURS

WAS WOLFGANG REITZLE ANFÄNGT, DAS TUT ER GRÜNDLICH. DER AUTOBAUER UND MANAGER MACHT IN SEINER VILLA SANTO STEFANO SCHON DEN BESTEN WEIN AUS DER GEGEND VON LUCCA. JETZT SOLLEN REBBERGE IN DER MAREMMA SEINEN LOTO NACH GANZ OBEN BRINGEN

Von RAINER SCHÄFER  Fotos ANDREAS HANTSCHKE

Eigentlich könnte er nach einem langen, intensiven Arbeitsleben entspannt die Beine hochlegen, wie es die meisten in seinem Alter tun. Der 73-jährige Wolfgang Reitzle ist einer der erfolgreichsten Wirtschaftsmanager der vergangenen Jahrzehnte, und noch immer geht er, wie er sagt, »zu vielen Jobs nach« – sein Wissen und seine Fähigkeiten sind gefragt. Daneben hat er in der Toskana, oberhalb der Stadt Lucca, mit der Villa Santo Stefano ein »Boutique-Weingut« aufgebaut und Loto als den besten Rotwein der dortigen Colline Lucchesi etabliert. Aber das genügt dem ehrgeizigen Gutsbesitzer nicht. Wolfgang Reitzle ist von ganz anderem Schlag als jene gelangweilten Reichen und Prominenten, die sich Weingüter als Spielzeuge zulegen und ihren Überfluss zur Schau stellen, er holt noch mal zum großen Coup aus. In der Maremma konnte er einen Weinberg in bester Lage erwerben, mit dem er ganz nach oben will: Dort soll die neue Weltklasse der Toskana entstehen. Reitzles Biografie ist die eines unermüdlichen Perfektionisten, der sich nie mit Mittelmaß zufriedengibt und auch an sich selbst höchste Ansprüche stellt. Wenn er etwas macht, »dann richtig, wie immer in meinem Leben. Sonst hat es doch keinen Sinn.«


Den Hauswein »konnte man nicht trinken«. Wolfgang Reitzles Ehrgeiz war geweckt


Wolfgang Reitzle ist eben in der Toskana angekommen, sechs Wochen lang war er nicht mehr da. Normalerweise verbringt er mehr Zeit in der Villa Santo Stefano mit seiner Frau, der bekannten Fernsehmoderatorin und Autorin Nina Ruge. Aber Reitzle hatte berufliche Verpflichtungen, und was er zusagt, das hält er auch ein. Er trägt ein weißes Hemd und weiße Ledersneaker, der Bart ist exakt getrimmt, er ist schlank und hält den Rücken gerade, obwohl ihm zuletzt die Bandscheibe zu schaffen machte. Wolfgang Reitzle ist ein Macher, den noch immer eine gehörige Portion Energie antreibt.

In den Hügeln über Lucca blickt man von der Villa auf die fruchtbare Ebene, die Silhouette der Stadt und die Küstenlinie, am Horizont schimmert als schmaler Streifen das Tyrrhenische Meer. Reitzle und die Toskana, das ist eine lange gewachsene und ausgesprochen innige Verbindung. »Ich liebe diese stolze Kulturlandschaft«, sagt er, »sie ist der Inbegriff von Lebensgefühl in Verbindung mit einer einzigartigen Geschichte.« Der Manager schwärmt auch schon lange von toskanischen Weinikonen wie Sassicaia, Masseto oder Guado al Tasso. 2001 kam Reitzle in den Norden der Toskana, der nur für seine ausgezeichneten Olivenöle bekannt war. »Lucca«, sagt er, »ist weiß Gott nicht berühmt für Wein.« Jahrelang hatte Reitzle in der Toskana nach einem Ort für den Rückzug vom hektischen Alltag eines eng getakteten Managerlebens gesucht. Immer wieder kam er aus London angeflogen, wo er für den Autokonzern Ford arbeitete, suchte über das Wochenende nach einem geeigneten Domizil und flog wieder zurück. Lucca mit seinen mittelalterlichen Palästen und Renaissancevillen hinter den über 500 Jahre alten kilometerlangen Stadtwällen hatte es ihm besonders angetan. »Italien«, sagt Reitzle, »war immer ein Sehnsuchtsort für meine Familie.« Die reiste an den Gardasee und nach Südtirol, wo Vater und Onkel beim Törggelen »ordentlich Rotwein getrunken haben«. Später entdeckte er die Toskana, die ihn gleich mit ihren Reizen einfing.
Das schmucke Anwesen hatte unter einem lange andauernden Familienstreit gelitten. Lage und Architektur waren zwar außergewöhnlich schön, aber die denkmalgeschützte Villa, die dem bekannten Olivenölproduzenten Bertolli gehört hatte, stand seit Jahren leer. Das Gelände war verwahrlost, die Macchia, die typische mediterrane Flora mit Büschen und Wildpflanzen, hatte die Olivenbäume überwuchert und sogar »erdrosselt«, wie Reitzle sagt. Trotzdem verliebte sich das Paar sofort in den Platz, das Gut wurde nach der benachbarten Kirche umbenannt in Villa Santo Stefano. Nach und nach erwarb Reitzle weitere Gebäude auf dem Areal, die stil- und geschmackssicher restauriert wurden. Es ist ein stimmungsvoller Ort, und wenn morgens die Sonne aufgeht, leuchtet sie so intensiv orangefarben, »dass es dich vom Hocker haut«.

Wolfgang Reitzle, im bayrischen Neu-Ulm geboren und im schwäbischen Ulm aufgewachsen, kann es nur schwer ertragen, wenn man Möglichkeiten nicht nützt und Ressourcen nicht ausschöpft. So ging es ihm auch bei seinem neuen Anwesen. Er wird angetrieben von dem gerade in Schwaben weit verbreiteten Ethos, etwas schaffen und gestalten zu müssen. »Fleißig waren wir immer«, sagt er dazu. Zuerst ließ er die Olivenbäume rekultivieren, dann wurde ein erster Hauswein für den Eigenverbrauch erzeugt, von einem halben Hektar Sangiovese-Reben, die um die Villa standen. Aber nach der ersten Ernte stand für ihn fest, dass er handeln musste, denn »den konnte man nicht trinken«. Reitzle ließ die Rebstöcke roden und gab ein ambitioniertes Ziel aus: »Ich wollte den besten Wein Luccas machen.«

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Wolfgang Reitzle ist auf dem besten Weg, den berühmten »Super Tuscans« Konkurrenz zu machen. Seinen Loto bezeichnen andere Winzer bereits respektvoll als »Sassicaia von Lucca«